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Psychotherapie – alles das Gleiche, alles das Selbe? Nein!

Wie bereits in unserem ersten Beitrag erwähnt, handelt es sich bei Psychotherapie um ein eigenständiges Heilverfahren zur Behandlung von psychischen, psychosozialen oder psychosomatisch bedingten Verhaltensstörungen und Leidenszuständen. Genau so wird dies auch vom österreichischen Gesundheitsministerium definiert.

Es gibt in Österreich derzeit 23 verschiedene, gesetzlich anerkannte psychotherapeutische Verfahren, welche aus den vier großen Strömungen entstanden sind.

Diese vier großen psychotherapeutischen Schulen umfassen die Humanistische Psychotherapie, den Systemische Ansatz, die Verhaltenstherapeutischen Konzepte und die Tiefenpsychologischen Verfahren.

Die vier unterschiedlichen Strömungen unterscheiden sich in den theoretischen Grundlagen der Konzepte, dem Menschenbild und dem methodischen/therapeutischen Vorgehen.

 

 

Die Humanistische Orientierung

 

Das Menschenbild der humanistischen Verfahren geht davon aus, dass der Mensch über ein innewohnendes Entwicklungspotenzial verfügt und nach einer Tendenz sich selbst zu entfalten strebt (Selbstaktualisierung). Diese Haltung betrachtet Individuen als sinnsuchende Wesen mit der selbstregulativen Fähigkeit, das Leben bedeutungsvoll zu gestalten und Störungen aus eigener Kraft zu überwinden. Die zentralen Begriffe sind somit Selbstverwirklichung, Wachstumsorientierung, bewusstes Erleben, Freiheit, Ganzheit und Beziehungsfähigkeit.

Um diese innewohnenden Qualitäten zu aktivieren, benötigt es ein Klima eines nicht-wertenden, einfühlenden Verstehens (Empathie), einer bedingungslosen Wertschätzung (Akzeptanz) sowie emotionaler  Wärme und Kongruenz (Authentizität), welches im Rahmen der Therapie von dem:der Therapeut:in geschaffen wird.

In der humanistischen Schule treten direktive Methoden in den Hintergrund, es ist die therapeutische Beziehung selbst, die wirken soll. Im Zentrum dieser Therapieform steht der Mensch und die Beziehung im Sinne eines phänomenologischen Wissenschaftsverständnisses, Störungsbilder treten in den Hintergrund.

 

Die humanistische Psychotherapie besteht aus folgenden Verfahren:

Existenzanalyse, Existenzanalyse und Logotherapie, Gestalttheoretische Psychotherapie, Integrative Gestalttherapie, Integrative Therapie, Klientenzentrierte Psychotherapie, Personzentrierte Psychotherapie, Psychodrama.

 

 

Die Systemische Orientierung

 

Das systemische Verfahren wurde stark beeinflusst von der Systemtheorie und dem konstruktivistischen Ansatz. Systemisch wird die Welt als veränderbar angesehen und dies soll auch dem Menschen selbst so erscheinen. Der Fokus liegt folglich weniger auf einer einzelnen Person, sondern auf den Beziehungen und Wechselwirkungen zueinander. Unmittelbare Lebenskontexte werden aktiv in die Überlegungen zu Störungen und in die Behandlung einbezogen.

Im therapeutischen Vorgehen wird demnach das ganze System eines Menschen in Betrachtung gezogen, das isolierte Ich tritt in den Hintergrund und Muster sowie Zusammenhänge zwischen einzelnen Mitgliedern sollen erkannt werden.

Der Mensch wird im systemischen Ansatz in einer Bewegung zum Sinnhaften gesehen, dessen System sich unter gewissen Möglichkeiten und Ressourcen auf Lösungen hinbewegt.

 

Die systemische Psychotherapie besteht aus folgenden Verfahren:

Neurolinguistische Psychotherapie, Systemische Familientherapie.

 

 

Die Verhaltenstherapeutische Orientierung

 

In der Verhaltenstherapie wird davon ausgegangen, dass Gedanken (Kognitionen), Gefühle (Emotionen) und physiologische Veränderungen (körperliche Sensationen, z.B. erhöhter Puls) in einem bestimmtes Verhalten resultieren. Verhaltenstherapeutisch sind diese 4 Ebenen die zentralen Ansatzpunkte der Therapie, wobei im Menschenbild davon ausgegangen wird, dass der Mensch ein lernendes Individuum ist und aktiv, selbst steuernd als auch planvoll handelt.

Zum Einsatz kommen im therapeutischen Setting neben dem Gespräch definierte Techniken wie beispielsweise die Expositionstherapie bei Angststörungen, bestimmte Entspannungstechniken (z.B. Progressive Muskelentspannung nach Jacobson) oder Imaginationsübungen, die in ihrer Wirksamkeit laufend wissenschaftlich falsifiziert werden.

Verhaltenstherapeut:innen arbeiten diagnose- und symptomorientiert, differenzieren zwischen prädisponierenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren eines Zustandsbildes. Es wird hypothesengeleitet an einer Verbesserung der Symptomatik gearbeitet, hin zum gesunden, selbstfürsorglichen Erwachsenen.

In die Verhaltenstherapie sind verschiedene Ansätze wie beispielsweise die Schematherapie oder Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) eingebettet.

 

In der Verhaltenstherapie gilt als das Verfahren selbst.

 

 

Die Tiefenpsychologische Orientierung

 

Unter dem Oberbegriff der Tiefenpsychologie sind alle Verfahren vereint, die davon ausgehen, dass der Mensch die drei Dimensionen der unbewussten Reize (wahrgenommene Reize überschreiten die Schwelle des Bewusstseins nicht), vorbewussten Prozesse (Erinnerungen, die jederzeit in das Bewusstsein gerufen werden können) und unterbewussten Vorgänge (Automatismen) in sich trägt und dementsprechend handelt. Tiefenpsychologische Verfahren werden auch als konfliktorientierte oder psychodynamische Verfahren bezeichnet.

Psychische Erkrankungen lassen sich demnach auf unbewusste, vorbewusste oder unterbewusste Impulse und Konflikte zurückführen, die in der Kindheit verdrängt wurden. Im therapeutischen Miteinander sollen diese Gefühle bewusst gemacht und Widerstände oder Abwehrmechanismen bearbeitet werden. Wichtige Werkzeuge sind freies Assoziieren, Deutung sowie Übertragung und Gegenübertragung der aus der Kindheit stammenden Gefühle. Laut Sigmund Freud ist der Mensch mit seiner Umwelt in einer Art Kampf und wird geleitet von Instinkten, Ängsten und Trieben. Heute liegt ein weiterer Fokus auf der Veränderung der Organisationsstruktur der Persönlichkeit, mit den Instanzen des Ich (kritischer Verstand), Über-Ich (Gebote, Verbote) und des Es (Bedürfnisse).

 

Als Psychoanalytische Verfahren gelten:

Analytische Psychotherapie, Gruppenpsychoanalyse/Psychoanalytische Gruppentherapie, Individualpsychologie, Psychoanalyse/Psychoanalytische Psychotherapie, Psychoanalytische orientierte Psychotherapie

Tiefenpsychologisch fundierte Verfahren:

Autogene Psychotherapie, Daseinsanalyse, Dynamische Gruppenpsychotherapie, Hypnosepsychotherapie, Katathym Imaginative Psychotherapie, Konzentrative Bewegungstherapie, Transaktionsanalytische Psychotherapie

 

Wichtig ist: Alle therapeutischen Verfahren benötigen zur Abrechnung mit den Krankenkassen eine Diagnosestellung nach den gängigen „ICD-10“-Kriterien (= Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme; rezente Umstellung auf ICD-11).

 

Nähre Informationen zu den einzelnen Verfahren findet ihr auf:

https://www.sozialministerium.at/dam/jcr:067ed3c8-aaea-4c84-84c2-a3afb9cef836/Patienteninformation_(BMGSPK),_Stand_29.04.2020.pdf

 

Für eine Vertiefung der Thematik empfehlen wir von Stumm/Wirth "Psychotherapie Schulen und Methoden. Eine Orientierungshilfe für Theorie und Praxis". Die tolle Übersicht unseres Titelbildes ist in der 1. Auflage (1991) auf S. 20 zu finden.